Reto Lanzendörfer / Leben / Journal 2002

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rohe Auszüge aus meinem Journal 2002:

2.1.2002  Vernazza - Cinque Terre

Hunde sind achtsamer
als Menschen
Menschen fürchten
die Augenblicke
warum dürfen Blicke
sich nicht begegnen,
auch ohne dass gesprochen wird?
Die Blicke der kleinen Kinder
werden toleriert
die der Erwachsenen
ignoriert
Gestik, Haltung, Mimik und Stimme
sprechen klarer als Worte

4.1.2002

Was soll ich antworten
auf die Frage:
wie lange ich brauchte
für das Bild?
Frage einen Karateschüler
wie lange er braucht,
um das Brett zu brechen.
Interessanter wäre doch zu wissen,
wie lange und wie er trainiert, lebt,
um das Brett überhaupt brechen zu können.
In welcher Zeit es schliesslich bricht,
ist nicht wichtig.
Entscheidend ist,
ob es bricht.

Di, 29.1.2002

Ziel des Malens
darf nicht das Bild sein.
Es entsteht nebenbei,
während man übt.

Die Menschen haben ihre Sprache entwickelt,
und was machen sie damit?
Verschwenderisch plappern sie lauter Unsinn,
reden aneinander vorbei
und verstehen sich doch nicht.

Fernsehen, wir sollten nicht
in die Ferne sehen,
sondern hier sein,
hier und jetzt.

Mo, 4.2.2002

Schau dir meine Bilder an,
wie ich auf der Suche nach dem Licht bin.
Ich komme ihm näher,
hier in Vernazza.
Das Licht hat einen Namen,
es heisst Dorka.
Ich brauche Licht zum Leben.
Die Welt wird farbig im Licht.
Licht wärmt sowohl meinen Körper
als auch meinen Geist.
Das ist Glück.
Das Glück, das wir alle suchen.
Das Licht ist für alle da,
ich kann es nicht für mich alleine beanspruchen.
Wie schade!

Mi, 6.2.2002

Gerade im Nicht-Perfekten
liegt das Lebendige, Vollkommene

"Amigo"  Giorgetto 391

 

Fr, 8.2.2002

Ich kann keine Kunst machen,
nur leben wie ein Künstler.
Die gemachte Kunst lebt nicht,
sie ist höchstens dekorativ.
Der Kunstschaffende
geht ins Atelier
und schafft Kunst.

Brao ist nicht verrückt
die andern sind
einfach zu normal

Jeden Tag, um 15 Uhr,
schmolle ich für eine Stunde.
Wieso verbringt D.
täglich ihre freie Stunde
mit ihrem "Amigo",
der ihr Grossvater sein könnte?
Ein vom Dorf toleriertes Paar.
Ich muss mich begnügen
mit zufälligen Begegnungen,
wo sie immer sehr kurz angebunden ist.
Es scheint unmöglich
ein Treffen zu vereinbaren.
Und doch lässt sie mich immer wieder hoffen.
Das Dorf überwacht,
es hat überall Augen,
das ist ihr unangenehm,
sie kann sich nicht frei bewegen.
Die Leute sehen, denken, erfinden und reden zuviel.
D. ist offenbar eine wichtige Person im Dorf
und will die Kirche stehen lassen.
Die Sterne verrücken und ordnen sich wieder
in rasendem Tempo.
Ich selber bin es,
welcher mit seinen euphorischen Überreaktionen
die Sterne immer wieder durcheinander bringt.
Lernen wir, Tatsachen zu akzeptieren,
und dieses "zufriedene Lächeln" kommt von selbst.
Nur ich selber bin verantwortlich
für mein Unglück,
ich kann nicht andere dafür haftbar machen.
Das "Unglück" findet nur in meinem Kopf statt,
es sind ein paar Hirnströme, weiter nichts,
lächerlich, und wie tragisch, wenn sich einer
deswegen das Leben nimmt.
Es geht mir wieder gut.
Ich bin zufrieden.
Dem Meer Zuhören,
mit offenen Augen,
ordnet, beruhigt und klärt
die Gedanken.
Ich malte den "Amigo".

Rezept zur Zufriedenheit:
Sei dankbar für alles, was du hast
und täglich erhältst
erzwinge nichts,
sei nicht gierig
Gier und Zwang bremsen nur,
was du dir ersehnst,
ersehne nichts, was nicht ist
erwarte nichts
warte nicht
und staune, wie dich das Glück beschert

Je mehr du dich selber bemitleidest,
umso weniger Zeit bleibt dir
fürs Glück

Selbstmitleid
verkürzt die Zeit fürs Glück

Selbstmitleid
verkürzt die glückliche Zeit
und lässt Spuren im Gesicht

Di, 12.2.2002

Malen ist meine Medizin
und hält mich am Leben

Di, 11.3.2002

Jemandem seine Zeit geben
ist ein Geschenk,
nirgends zu kaufen.

ca. 18.3.2002

Wenn einen die Emotionen einholen, vergisst man alle bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse. Das Nebenprodukt sind die Bilder, und die beinhalten alles.

Mo, 25.3.2002

Die guten Bilder entstehen unbewusst,
oder mit dem Unterbewussten,
ohne Wissen, denn das hindert nur.
Virtuos hingeworfene Bilder
enthalten wenig.
Etwas probieren ist besser
als produzieren.
Es ist nicht verboten, dasselbe
immer wieder zu versuchen.

Do, 28.3.2002

Die Leute sind höflich
und nicht ehrlich

So, 31.3.2002

Lebe jetzt,
verschiebs nicht auf später,
weisst DU denn,
ob du später noch lebst?

8.2002  Rieden bei Baden

Wir können die Zeit nicht anhalten,
aber sie nutzen,
um zu leben

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